zurück

Vorschlag für eine EU-Produktsicherheitsverordnung: Wesentliche Inhalte und Bewertung

Kurz vor Inkrafttreten der EU-Marktüberwachungsverordnung (VO (EU) 2019/1020) ist am 30. Juni 2021 der Vorschlag der EU-Kommission für einen Ersatz der Richtlinie 2001/95/EG (Produktsicherheitsrichtlinie, „PSRL“) veröffentlicht worden (COM(2021) 346 final). Geplant sind grundlegende Änderungen und Neuerungen. Einige Kernregelungen werden nachfolgend dargestellt und bewertet.

Wesentliche Inhalte:

  • Wie bereits bei der Änderung des Marktüberwachungsrechts sollen die Regelungen in Form einer Verordnung erfolgen. Die Spielräume der Mitgliedstaaten sind damit im Vergleich zur aktuellen PSRL deutlich begrenzter.
  • Der Anwendungsbereich umfasst weiterhin Non-Food-Verbraucherprodukte (einschließlich relevanter Migrationsprodukte und nunmehr auch lebensmittelähnlicher Produkte gemäß der Richtlinie 87/357/EWG). Im Hinblick auf die evidenten Überschneidungen bzw. Konkurrenzen mit der EU-Marktüberwachungsverordnung sieht der Entwurf einen differenzierten und abgeschichteten Ansatz vor, indem insbesondere einzelne Abschnitte für nicht anwendbar erklärt werden. Inwieweit das konsistent ist und friktionslos funktioniert, ist noch näher zu untersuchen.
  • Das Angebot von Produkten online oder über Fernabsatz soll flächendeckend als Bereitstellen behandelt werden, wenn das Angebot an EU-Verbraucher gerichtet ist. Für Letzteres kann die Verwendung einer Sprache oder Währung von Mitgliedstaaten, die Domain-Registrierung in einem Mitgliedstaat oder das Angebot des Versands in einen Mitgliedstaat ausreichend sein. Dieser Ansatz ist auch in der EU-Marktüberwachungsverordnung zu finden, wird jetzt aber mit spezifischen Kriterien konkretisiert.
  • Seitens der EU-Kommission soll es Durchführungsrechtsakte geben, die für in Einklang mit harmonisierten Normen stehende Produkte (für die weiterhin die Konformitätsvermutungswirkung gelten soll) „spezifische Sicherheitsanforderungen festlegen, die nötig sind, dass diese Produkte die generellen Sicherheitsanforderungen nach Art. 5 [des Entwurfs; entspricht Art. 3 Abs. 1 der PSRL]“ einhalten. Wie weitreichend die diesbezügliche Kompetenz der EU-Kommission angedacht ist, erschließt sich nicht unmittelbar. Auf Basis früherer Angänge bei ähnlichen Themen dürfte das Ganze aber weit zu verstehen sein.
  • Für die Bewertung der Einhaltung der Sicherheitsvorgaben außerhalb der Vermutungswirkung auf Basis technischer Normen enthält der Vorschlag einen umfassenden Kriterien-Katalog. Neben bekannten Aspekten sind dort Cyber Security und Künstliche Intelligenz aufgeführt. Ferner können etwa freiwillige Zertifizierungen, Kommissions-Empfehlungen und -Richtlinien, technische Standards und Good Practice-Faktoren in die Bewertung einfließen.
  • Zahlreiche Erweiterungen gibt es bei den Herstellerpflichten und Pflichten von Importeuren und Händlern, die teilweise an die Musterbestimmungen des Beschlusses Nr. 768/2008/EG angelehnt sind. So soll es für Hersteller eine Pflicht zur fortlaufenden Information von Händlern, Importeuren und Online-Marktplätzen über identifizierte Sicherheitsprobleme geben. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Produkt nicht sicher ist, soll ferner künftig (anders als bisher) die Pflicht bestehen, unverzüglich Korrekturmaßnahmen durchzuführen. Die bisher schon bestehende Mitteilungspflicht gegenüber Behörden wird ergänzt um eine entsprechende Pflicht auch gegenüber Verbrauchern (über das Safety Business Gateway).
  • Die beiden bedeutsamsten Änderungen für Hersteller dürften jedoch sein, dass diese (i) innerhalb von zwei Arbeitstagen nach Kenntniserlangung Marktüberwachungsbehörden über Unfälle informieren müssen, die von einem von ihnen bereitgestellten Produkt verursacht wurden, und (ii) im Falle eines Rückrufs eine kostenfreie Reparatur, Ersatzlieferung oder Rückzahlung des Kaufpreises anbieten müssen.
  • Für Produkte, die „anfällig für ernste Risiken für Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern“ sind, soll die EU-Kommission ein spezifisches System zur Nachverfolgbarkeit vorschreiben können.
  • Künftig sollen auch Online-Marktplätze, also klassische Online-Handelsplattformen wie eBay oder Amazon Marketplace (auch bezüglich C2C), umfassend in Verantwortung genommen werden. Marktüberwachungsbehörden sollen etwa die Entfernung gefährlicher Produkte von Online-Schnittstellen verlangen können. Ferner müssen die Online-Marktplätze die technischen Voraussetzungen schaffen, dass Händler (künftig) rechtlich erforderliche Informationen bereitstellen können. Außerdem müssen sie umfassend mit Marktüberwachungsbehörden und anderen Wirtschaftsakteuren im Hinblick auf erforderliche Korrekturmaßnahmen zusammenarbeiten.
  • Im Falle abweichender Auffassungen von Marktüberwachungsbehörden unterschiedlicher Mitgliedstaaten über Risikobeurteilungen oder Risikograde (also beispielsweise, darüber ob ein ernstes Risiko auf Basis der RAPEX-Leitlinien vorliegt) kann ein freiwilliges Schlichtungsverfahren bei der EU-Kommission durchgeführt werden.
  • Zahlreiche Neuerungen gibt es hinsichtlich der Durchführung von Korrekturmaßnahmen (Rückrufe und Warnungen). Wirtschaftsakteure sollen vorhandene persönliche Daten ihrer Kunden nutzen. Sie müssen bei vorhandenen Systemen zur Produktregistrierung oder Treueprogrammen den Kunden die Möglichkeit der Hinterlegung persönlicher Daten für Sicherheitsmaßnahmen einräumen. Ferner werden Maßgaben für die konkreten Kanäle bei Rückrufen und Warnungen getroffen. Neu ist auch, dass im Falle schriftlicher Rückrufe bestimmte inhaltliche Maßgaben einzuhalten sind; die Kommission soll hierfür ein Muster erlassen.
  • Umfassende Handreichen und Vorgaben sollen schließlich den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Sanktionierung von Verstößen gegen die Verordnung aufgegeben werden. Der Höchstbetrag von Geldstrafen soll mindestens 4 % des jährlichen Umsatzes des betreffenden Wirtschaftsakteurs im betroffenen Mitgliedstaat umfassen.

Bewertung

Aus Sicht der Wirtschaftsakteure ist sicherlich die Fortsetzung der Bemühungen begrüßenswert, den Vertrieb unsicherer Produkte über moderne Vertriebskanäle zu begrenzen bzw. zu unterbinden. Neben Fulfilment-Dienstleistern würden nunmehr auch Marktplatzbetreiber eingebunden. Positiv zu vermerken ist auch das Bemühen, Lösungen hinsichtlich uneinheitlicher Einschätzungen der Marktüberwachungsbehörden bei Produktrisiken zu finden. Bisher sind die Wirtschaftsakteure diesbezüglich weitgehend dem Good Will der Behörden ausgeliefert. Ob ein lediglich freiwilliges Schlichtungsverfahren hier das Mittel der Wahl sein sollte, ist allerdings zweifelhaft.

Auf begrenzte Akzeptanz werden die Schärfungen im Pflichtenheft der Wirtschaftsakteure stoßen. Insoweit sind die Vorschläge der Kommission – wie generell bei der Produktregulierung – geprägt von einer deutlichen Abkehr vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Wirtschaftsakteure hin zu überbordender staatlicher Kontrolle und Lenkung, verknüpft mit Elementen zentralisierter Steuerung durch die EU-Kommission (wobei letztere im Vergleich zu Vorgängerentwürfen deutlich begrenzter sind). Besonders virulent wird dies im Hinblick auf Konformitätsverstöße und Produktkrisen. Hier wird das Gebot der Transparenz auf die Spitze getrieben, indem insbesondere Hersteller zu umfassender und vor allem frühzeitiger Information von Behörden, anderen Wirtschaftsakteuren und der Öffentlichkeit verpflichtet werden. Man wird zwar hinsichtlich der Meldepflicht von „Unfällen“ innerhalb von zwei Tagen eine gewisse Bagatellgrenze annehmen können. Im Ergebnis wird dieser Ansatz aber nicht zu mehr Verbrauchersicherheit führen, sondern nur zu gesetzlich verordnetem Aktionismus bei Wirtschaftsakteuren und Behörden. Eine Vielzahl potentieller oder vorgeblicher Vorfälle mit Produkten entpuppen sich bei genauer Betrachtung als unkritisch bzw. nicht sicherheitsrelevant. Die entsprechende Klärung erfordert aber regelmäßig auch bei bestem Bemühen Zeit, zumal künftig wegen der ebenfalls neu eingeführten Pflicht, Verbrauchern technische Beschwerdemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, mit erhöhten Fallzahlen rechnen ist. Insoweit sind zwei Tage sicherlich völlig unangemessen. Unabhängig davon hat es sich in der Praxis bewährt, einen produktbezogenen und nicht fallbezogenen Ansatz zu verfolgen, d. h. potentielle Sicherheitsrisiken generalisierend und nicht auf einen Einzelfall bezogen zu klären und hieraus gegebenenfalls Handlungsfolgen abzuleiten. Hierfür ist insbesondere eine (RAPEX-)Risikobeurteilung erforderlich, die ebenfalls Zeit benötigt.

Keine Zustimmung erfahren wird sicherlich auch das geplante Recht auf kostenfreie Reparatur, Ersatzlieferung oder Kaufpreisrückzahlung. Die bisherige Rechtslage gibt eine solche Kostentragungspflicht nicht her. Stattdessen sind insoweit die Maßstäbe produkthaftungsrechtlicher Vorschriften heranzuziehen (insbesondere der Produzentenhaftung), was zu sachgerechten Ergebnissen führt. Hierbei sollte es bleiben. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieser Versuch, eine Art „europäisches Produktsicherheits-Gewährleistungsrecht“ einzuführen, im weiteren Prozess scheitern wird.

Der Entwurf bietet viel Stoff für Diskussionen. Man darf auf den weiteren Fortgang des Verfahrens gespannt sein.