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Mehr Staat statt Wettbewerb: Kostspieliger Systemwechsel im Green-Claims-Werberecht geplant – Zum Entwurf der Green-Claims-Richtlinie (Teil 2 von 3)

Am 22. März 2023 hat die EU-Kommission einen „Vorschlag für eine Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation (Richtlinie über Umweltaussagen)“, COM(2023) 166 final, vorgelegt (im Folgenden „Vorschlag“, die geplante Richtlinie die „Green-Claims-Richtlinie“).

In einem ersten Blogbeitrag hatten wir einen Überblick über die Hintergründe und Inhalte des Vorschlags gegeben und verschiedene Aspekte, insbesondere hinsichtlich der darin vorgesehenen Substantiierung und Bewertung von Green Claims sowie Informationspflichten, beleuchtet.

Dieser zweite Teil beschäftigt sich mit den geplanten Vorgaben bzgl. Umweltzeichen und der vorgesehenen, neuartigen präventiven Kontrolle von Green Claims in Gestalt eines Konformitätsbewertungsverfahrens.

1.        Vorgaben bzgl. Umweltzeichen und Umweltzeichensystemen (Art. 7, Art. 8)

Wie im ersten Teil ausgeführt besteht eines der wesentlichen Anliegen der Kommission darin, den „Wildwuchs öffentlicher und privater Kennzeichnungen“ einzudämmen.

Der Vorschlag enthält dementsprechend eine Reihe von Vorgaben bzgl. Umweltzeichen und dahinterstehenden Umweltzeichensystemen.

1.1.      Vorgaben bzgl. Umweltzeichen

„Umweltzeichen“ werden in Art. 2 Nr. 7 des Vorschlags definiert als Nachhaltigkeitssiegel, die ausschließlich oder überwiegend Umweltaspekte eines Produkts, eines Verfahrens oder eines Gewerbetreibenden abdecken. Umweltzeichen sind z.B. „FSC“, „Blauer Engel“ oder „Fairtrade“.

Die Umweltzeichen müssen gemäß Art. 7 des Vorschlags der Green-Claims-Richtlinie die Anforderungen an Green Claims gemäß Art. 3 bis 6 erfüllen und nach Art. 10 zertifiziert werden. Somit unterliegen sie hinsichtlich Substantiierung, Kommunikation und Zertifizierung Vorgaben, die jenen für Green Claims entsprechen. Demnach ist vorgesehen, dass auch bzgl. Umweltzeichen zur Substantiierung gemäß Art. 3 beispielsweise Angaben darüber gemacht werden müssen, worauf sich das jeweilige Zeichen bezieht (Produkt, Teile eines Produkts und/oder ein Unternehmen). Ferner müssen Nachweise darüber vorliegen, dass die Umweltauswirkungen, die Umweltaspekte oder die Umweltleistung, die zertifiziert werden, im Hinblick auf den Lebenszyklus der relevanten Produkte von Bedeutung sind.

Der schlichte Verweis in Art. 7 Abs. 1 auf die Vorgaben für Green Claims ist dabei allerdings unglücklich. Denn einige Kriterien des Art. 3 lassen sich auf Umweltzeichen nicht übertragen. Bei Umweltzeichen ist etwa das Postulat sinnwidrig, dass (gemäß Art. 3 Abs. 1 achter Spiegelstrich) alle geltend gemachten Kompensationen für Treibhausgasemissionen als zusätzliche Umweltinformation separat von allen sonstigen Treibhausgasemissionen ausgewiesen werden müssen.

Vorzugswürdig wäre daher, einen spezifischen eigenständigen Anforderungskatalog für Umweltzeichen zu etablieren.

Hierbei sollte auch klargestellt werden, wer den jeweiligen Prüfstellen die Informationen zur Bewertung der Umweltzeichen nach Art. 3-6 und Art. 10 übermitteln muss. Dies ist dem aktuellen Wortlaut des Vorschlags nicht zu entnehmen, wenngleich viel dafürspricht, dass dies das jeweilige das Umweltzeichen vergebende System und nicht etwa der Empfänger bzw. Verwender des Zeichens sein muss.

1.2.      Vorgaben bzgl. Umweltzeichensystemen

Umweltzeichensysteme selbst werden nach Art. 8 reguliert. Es handelt sich dabei gemäß Art. 8 Abs. 1 um Zertifizierungssysteme, die einem Unternehmen durch die Vergabe von Umweltzeichen bescheinigen, dass dessen Produkte, ein bestimmtes von dem jeweiligen Unternehmen angewandtes Verfahren oder das Unternehmen selbst die Anforderungen an ein Umweltzeichen erfüllt, und die ihm gestatten, das Zeichen im Markt zu verwenden.

Die Kommission hat sich die quantitative Begrenzung der Systeme und Zeichen zum Ziel gesetzt. Dementsprechend ist in Art. 8 Abs. 3 vorgesehen, dass ab dem für die Umsetzung der Green Claims Richtlinie vorgesehenen Datum (wird noch final bestimmt) keine neuen nationalen oder regionalen Umweltzeichensysteme mehr eingeführt werden dürfen. Nationale oder regionale Behörden dürfen bis dahin eingeführte Umweltzeichensysteme weiterverwenden, sofern diese die Anforderungen der Green-Claims-Richtlinie erfüllen. Auch bereits eingeführte private Umweltzeichen müssen ab dem Datum der Umsetzung der Richtlinie diese Anforderungen einhalten (dazu sogleich noch näher mit Blick auf Art. 8). Neu eingeführt werden dürfen hingegen noch

  • Umweltzeichensysteme der EU selbst (wie in der Vergangenheit z.B. das EU-Umweltzeichen gemäß Verordnung 1980/2000/EG bzw. Verordnung (EU) 66/2010),
  • von der EU-Kommission genehmigte staatliche Umweltzeichensysteme von Drittstaaten und
  • von privaten Betreibern (aus der EU oder Drittstaaten) eingeführte und von den Mitgliedstaaten im Einklang mit den Anforderungen der Green Claims Richtlinie genehmigte

Die Systeme von Drittstaaten oder privaten Betreibern werden einer Reihe von Anforderungen unterworfen. Insbesondere müssen sie transparent, kostenlos, leicht verständlich und hinreichend detailliert Informationen u.a. über die hinter dem System stehenden Eigentümer und die Entscheidungsgremien des Systems sowie über die Ziele, Anforderungen und Verfahren zur Überwachung der Einhaltung der Kriterien des Umweltzeichensystems bereitstellen.

Ferner müssen die Anforderungen des Umweltzeichensystems an die Unternehmen oder Produkte, die damit beworben werden sollen, von wissenschaftlich ausgewiesenen Sachverständigen entwickelt und einer heterogenen Gruppe von Stakeholdern (nicht näher spezifiziert) zur Konsultation vorgelegt worden sein, die diese Anforderungen überprüft und ihre Relevanz aus gesellschaftlicher Sicht (englische Fassung: „societal perspective“) bestätigt hat. Dies wird nicht konkretisiert, was angesichts der Vagheit der Kriterien nicht akzeptabel ist. Das Stakeholder-Kriterium sollte im Ergebnis gestrichen werden.

Nachvollziehbar ist demgegenüber die Anforderung, dass neue Umweltzeichensysteme von privaten Betreibern oder von Drittstaaten einen „Mehrwert im Hinblick auf ihre Umweltziele“ bieten müssen. Dies bezogen insbesondere auf die Erfassung von Umweltauswirkungen oder bezogen auf Produktgruppen oder Sektoren, und zwar jeweils im Vergleich zu bereits bestehenden Umweltzeichen. Gemeint ist offenbar unter Heranziehung der Begründung des Richtlinienvorschlags und des weiteren Kontexts, dass neue Umweltzeichensysteme gegenüber bereits bestehenden Systemen relevante Umweltauswirkungen besser bzw. präziser ermitteln als bisherige Systeme, oder dass sie relevante Umweltauswirkungen ermitteln, die bislang noch nicht von anderen Systemen ermittelt werden. Damit könnte in der Tat einer spürbaren weiteren Zunahme von Umweltzeichensystemen Einhalt geboten werden, auch wenn die konkreten Anforderungen noch durch Durchführungsrechtsakte der Kommission spezifiziert werden sollen.

2.        Konformitätsbewertung (Art. 10 und 11)

2.1.     Ex-ante-Überprüfung durch unabhängige Prüfstelle

Rechtlich wie praktisch von großer Bedeutung ist die vorgesehene grundlegende Neuerung, wonach Green Claims und Umweltzeichen von einer unabhängigen Prüfstelle nach Maßgabe der Anforderungen der Richtlinie überprüft werden (Art. 10, 11). Dabei wird nicht festgelegt, wie dies verfahrenstechnisch abzulaufen hat. Vielmehr wird dies den Mitgliedstaaten überlassen. Vorgegeben wird lediglich, dass die Mitgliedstaaten Verfahren einrichten, mit denen die Einhaltung der Anforderungen „überprüft werden kann“. Die Überprüfung richtet sich allein auf die Einhaltung der einschlägigen Vorgaben der Green-Claims-Richtlinie. Dagegen greift sie der Bewertung des jeweiligen Green Claims gemäß der UGP-Richtlinie (Richtlinie 2005/29/EG) nicht vor (Art. 10 Abs. 8).

Nach Abschluss der Überprüfung stellt die Prüfstelle gegebenenfalls eine Konformitätsbescheinigung aus, mit der bestätigt wird, dass die ausdrückliche Umweltaussage oder das Umweltzeichen den Anforderungen der Richtlinie entspricht (Art. 10 Abs. 6). Erst hiernach dürfen die jeweiligen Green Claims bzw. Umweltzeichen im Markt verwendet werden (Art. 10 Abs. 4).

Prüfstellen müssen gemäß Art. 11 Abs. 1 über eine Akkreditierung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 verfügen. Dies soll sicherstellen, dass die Akkreditierung der Prüfstelle unionsweit definierten Vorgaben folgt. In Deutschland führt die Akkreditierung die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) durch.

Für die Akkreditierung muss die Prüfstelle selbst diverse Anforderungen erfüllen, die in Art. 11 Abs. 3 vorgesehen sind. Sie muss z.B. unabhängig von relevanten Produkten und Unternehmen sein (lit. a, b), die Prüftätigkeiten mit der „größtmöglichen professionellen Integrität“ und der erforderlichen technischen Kompetenz durchführen (lit. c), sowie über das Fachwissen, die Ausrüstung und die Infrastruktur verfügen, die für die Durchführung der Prüftätigkeiten, für die sie akkreditiert wurde, erforderlich sind (lit. d).

2.2     Erheblicher Aufwand für Unternehmen wie Prüfstelle absehbar

Für die Unternehmen wie auch für die Prüfstellen wird die ex-ante-Überprüfung voraussichtlich ganz erheblichen Aufwand bedeuten. So müssen Unternehmen anders als bisher diverse Belege für eine Vorab-Prüfung einreichen, was in Anbetracht der wenig konkreten Anforderungen der Artikel 3-7 für erhebliche Unsicherheiten und, im Dialog mit der jeweiligen Prüfstelle, voraussichtlich für erheblichen Aufwand sorgen wird.

Dies wird insgesamt voraussichtlich erhebliche Kosten generieren. Die Kommission selbst geht davon aus, dass die vorgesehene Substantiierung und Bewertung von Werbeaussagen bzgl. Produkten oder des Unternehmen selbst zur Vorlage bei der jeweiligen Prüfstelle erhebliche zusätzliche Kosten auslösen kann. So schätzt sie die entsprechenden Kosten bzgl. Werbeaussagen, die den ökologischen Footprint eines Unternehmens selbst betreffen, laut Begründung des Vorschlags auf durchschnittlich EUR 54.000 (sofern keine sektorspezifischen Vorschriften eingriffen); dies ist der höchste von ihr angenommene Wert, für die Zertifizierung komplizierter Produkt-Claims veranschlagt sie etwa lediglich EUR 8.000. Inhaltlich näher spezifiziert und aufgeschlüsselt wird die Schätzung nicht. Offenbar nicht abgedeckt sind jedenfalls Kosten für (aufwändige) wissenschaftliche Studien und deren Auswertung. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Kosten in vielen Fällen wesentlich höher als von der Kommission angegeben ausfallen dürften. Die Unternehmen werden zudem mit erheblich höheren Kosten für Personaleinsatz im Hinblick auf die anfallenden zusätzlichen Aufgaben rechnen müssen.

Hiervon unabhängig dürften die entsprechenden Verfahren je nach Komplexität eine erhebliche Zeit dauern.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Werbung mit Green Claims wesentlich unattraktiver wird als bisher.

Eine hinreichende sachliche Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich. In der Begründung des Vorschlags argumentiert die Kommission, mit der vorgesehenen ex ante-Überprüfung werde hoher Aufwand bei der behördlichen (ex-post-) Durchsetzung vermieden. Das mag für den behördlichen Blickwinkel zutreffen, gesamtbetrachtet ist das Vorgehen aber nicht angemessen. Man mag ein gewisses Bedürfnis sehen, materiellrechtliche Grenzen festzuschreiben, an die sich die Teilnehmer zu halten haben. Ein Bedürfnis, dies mit einer unabhängigen Drittkontrolle zu verbinden – mit den aufgezeigten erheblichen Mehrbelastungen für die betroffenen Marktteilnehmer – vermag jedoch nicht einzuleuchten.

Der gewählte Ansatz ist umso befremdlicher, als die Kommission selbst vor kurzem noch im Hinblick auf Anpassungen u.a. an der UGP-Richtlinie ausgeführt hatte, das Instrument einer behördlichen Vorabgenehmigung von umweltbezogenen Angaben (dort: durch eine EU-Einrichtung) sei verhältnismäßig kostenträchtig und biete nur begrenzten Nutzen gegenüber der Anpassung materiellrechtlicher Regelungen, SWD(2022) 85 final, S. 31 und 51. Dass und vor allem weshalb dies nun im Fall der Green-Claims-Richtlinie anders sein soll, ist nicht erkennbar.

Im Ergebnis ist der gewählte Ansatz schwerlich nachvollziehbar. Unternehmen wird Werbung mit Green Claims bzw. Umweltzeichen nachhaltig erschwert. Dies wird gerade auch KMUs, die in diesen Bereichen besonders aktiv und innovativ sind, und damit auch dem Nachhaltigkeitsaspekt in der Sache, schaden.

2.3.      Begrenzter Nutzen EU-weiter Anerkennung der Bescheinigung

Die von der Prüfstelle ggf. ausgestellte Bescheinigung wird EU-weit anerkannt (Art. 10 Abs. 7). Aus Unternehmenssicht klingt dies zunächst einmal positiv, ist auf den zweiten Blick aber nur sehr bedingt hilfreich. Denn tatsächlich soll die Anerkennung nach dem Richtlinienvorschlag nur bezüglich der Konformitätsbescheinigung selbst gelten, während die Bewertung des jeweiligen Claims nach der UGP-Richtlinie etwa bezüglich Fragen der Irreführung gerade nicht präjudiziert wird (vgl. Art. 10 Abs. 8, s. bereits oben Abschnitt 2.1).

Im Ergebnis könnten sich Unternehmen trotz erfolgreicher Konformitätsbewertung nach der Green-Claims-Richtlinie nicht sicher sein, dass ihr jeweiliger Claim etwa vor Angriffen von Wettbewerbern wegen Irreführung nach der UGP-Richtlinie geschützt ist. Dies ist unglücklich. Die Kommission betont im Richtlinienvorschlag mehrfach selbst die Bedeutung der Rechtssicherheit für die Unternehmen. Vor diesem Hintergrund hätte die Schaffung einheitlicher Regeln für Green Claims innerhalb eines einzigen Rechtsakts nahegelegen, jedenfalls aber die vollständige Harmonisierung der materiellrechtlichen Anforderungen an Green Claims in den beiden Richtlinien. Da dies nicht erfolgt ist, werden sich Unternehmen nicht nur auf einen erhöhten Aufwand bei der Werbung mit Green Claims, sondern auch auf spätere Angriffe anderer Marktteilnehmer auf ihre Claims einstellen müssen.

In Teil 3 der Serie wird der Fokus auf der behördlichen Durchsetzung und Sanktionierung von Verstößen gegen die Green-Claims-Richtlinie liegen.