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Haftung als Quasi-Hersteller nach EuGH
„Koninklijke Philips“

Mit Urteil vom 7. Juli 2022 (Az. C-264/21 – Koninklijke Philips NV) hat der EuGH die Reichweite der Quasi-Herstellerhaftung nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG („Produkthaftungsrichtlinie“) konkretisiert. Im Kern stellte er fest, dass die bloße Anbringung des Namens, eines Warenzeichens oder anderen Erkennungszeichens zur verschuldensunabhängigen Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie führt, ohne dass sich der Inhaber auch auf andere Weise als Hersteller des Produkts ausgibt. Eine solche Haftung bestehe auch dann, wenn ausdrücklich ein (originärer) Hersteller auf dem Produkt und der Verpackung ausgewiesen ist. Bereits die unmittelbar entschiedene Konstellation hat erhebliche Praxisrelevanz. Eine nähere Betrachtung der Begründung und Argumentation des Gerichts offenbart eine erheblich darüber hinausgehende Bedeutung für die Verwendung von Eigenmarken, die Lizenzierung von Marken und das Bestehen von Unklarheiten bei der produktsicherheitsrechtlichen Marktakteurskennzeichnung.

Sachverhalt

Auf einer in Finnland vertriebenen Kaffeemaschine und deren Verpackung waren zwei international bekannte Marken aufgebracht, die zugunsten einer übergeordneten Konzerngesellschaft („Gesellschaft A“) eingetragen sind. Als Hersteller der Kaffeemaschine war eine italienische Tochtergesellschaft von Gesellschaft A („Gesellschaft B“) ausgewiesen. Eine weitere Tochtergesellschaft vertrieb die Kaffeemaschinen in Finnland. Nach einem Brand der Kaffeemaschine verlangte eine Versicherung von der Gesellschaft A Schadensersatz auf Basis der Produkthaftungsrichtlinie, nachdem sie einen Brandschaden reguliert hatte. Sie berief sich hierbei darauf, die Gesellschaft A sei Quasi-Hersteller gemäß Art. 3 Abs. 1 Alt. 2 der Produkthaftungsrichtlinie, der wie folgt lautet: „Hersteller ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.“ Nach divergierenden Instanzentscheidungen initiierte der Oberste Gerichtshof Finnlands ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH.

Entscheidung

Der Gerichtshof befand, dass Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie dahingehend auszulegen sei, dass der Begriff „Hersteller“ nicht erfordere, dass sich eine Person, die ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt angebracht oder deren Anbringen zugelassen hat, auch auf andere Weise als Hersteller des Produkts ausgibt. Zur Begründung führte der EuGH im Wesentlichen aus:

  • Der Wortlaut der Vorschrift im Hinblick auf den Quasi-Hersteller erfordere keine zusätzlichen Kriterien neben der Anbringung von Namen, Warenzeichen oder anderen Erkennungszeichen, insbesondere keine Beteiligung am Herstellungsprozess.
  • Auf Basis des Ziels der Produkthaftungsrichtlinie müsse der Begriff „Hersteller“ im Sinne des Verbraucherschutzes weit verstanden werden. Die Last, den tatsächlichen Hersteller des fehlerhaften Produkts zu ermitteln, solle gelindert werden.
  • Außerdem rekurriert der EuGH darauf, dass die Anbringung des Namens, Warenzeichens oder eines anderen Erkennungszeichens den Eindruck erwecke, der Markeninhaber sei am Herstellungsprozess beteiligt oder dafür verantwortlich. Dies laufe darauf hinaus, dass diese Person ihre Bekanntheit nutze, um das fragliche Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen, was es rechtfertige, dass sie als Gegenleistung wegen dieser Verwendung haftbar gemacht werden kann.

Bedeutung und Folgen für die Praxis

Dass der EuGH streng nach dem Wortlaut und dem Schutzzweck der Richtlinie auslegt, überrascht zunächst einmal nicht. Das gewonnene Ergebnis und die Begründung sind allerdings nicht überzeugend. Zu Unrecht lehnt der Gerichtshof es ab, dass (i) ein voluntatives Element in Richtung einer Herstellereigenschaft bei demjenigen gegeben ist, dessen Marke auf dem Produkt angebracht wird, oder (ii) jedenfalls eine verobjektiviert plausible Perzeption der Herstellereigenschaft des Markeninhabers auf Seiten des Verbrauchers vorhanden ist. Denn die Vorschrift sieht gerade nicht vor, dass jeder zum Hersteller wird, der lediglich seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt. Maßgabe des Gesetzes ist vielmehr, dass der so Handelnde sich hierdurch (also mit dem Anbringen dieser Zeichen) „als Hersteller ausgibt“, was begrifflich mehr als das bloße Anbringen erfordert. Anders formuliert: Wenn sich dies in dem bloßen Anbringen erschöpfen würde, wäre die einleitende Wendung „als Hersteller ausgibt“ (in der englischen Fassung: „presents himself as its producer“) inhaltsleer.

Die Maßgaben des EuGH müssen die Praxis stark aufhorchen lassen, insbesondere wegen der ergänzend herangezogenen Erwägungen zur Verwendung von marktbekannten Kennzeichen, um hierdurch (bewusst) besonderes Vertrauen bei Verbrauchern hervorzurufen. Die diesbezüglichen überschießenden Erwägungen des Gerichts sind höchst kritikwürdig und in der Sache unzutreffend (hierzu näher unten). Die Maßgaben des Gerichts zu der entschiedenen Frage sind jedoch für die Mitgliedstaaten und die Gerichte bindend und daher auch für alle Marktakteure nunmehr zu beachtende Leitplanken. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist überdies damit zu rechnen, dass die tragenden Erwägungen, auch das soeben dargelegte „Marketingargument“, über die konkret entschiedene Situation hinaus in die nationale Rechtsanwendung und Rechtsprechung Eingang finden werden. Im Ergebnis sind damit die Grundfeste diverser Geschäftspraktiken und -modelle berührt.

1. Eigen- und Handelsmarken

Die Verwendung von Eigenmarken/Handelsmarken ist gängige Praxis im Food- und Non-Food-Bereich. Schon seit längerem bauen viele Unternehmen und Einzelhändler dieses Geschäftsfeld stark aus. Aktuell steigen wegen des Preis- und Spardrucks im Zuge der hohen Inflationsraten die Umsätze in diesem Bereich signifikant. Konzeptionell sind die Modelle dabei häufig darauf ausgerichtet, dass das Unternehmen, das die maßgebliche Marke besitzt, produktsicherheits- und produkthaftungsrechtlich nicht in der Herstellerverantwortung stehen soll. Dies geschieht regelmäßig dadurch, dass – mehr oder weniger deutlich – der „echte“ Hersteller mit den insoweit produktrechtlich vorgegebenen Details auf Produkt und Verpackung ausgewiesen wird. Nicht selten wird hierbei zwischen originärem Hersteller und der Marke bzw. dem Markeninhaber ein Link hergestellt, etwa durch die Formulierung „hergestellt für [Marke/Name des Unternehmens]“. Teilweise wird der Unternehmensname/die Marke auch unkommentiert ergänzend zur Herstellerkennzeichnung angebracht.

Der letztgenannte Fall ist nach dem hier diskutierten EuGH-Urteil eindeutig; diese Konstellation hat der EuGH unmittelbar entschieden: Das Unternehmen, dessen Name/Marke auf dem Produkt angebracht ist, haftet als Quasi-Hersteller. Unter Berücksichtigung der Logik und dogmatischen Begründung des EuGH wird man im Zuge eines Erst-Recht-Schlusses eine Quasi-Herstellereigenschaft auch bejahen müssen, wenn im obigen Beispiel kenntlich gemacht wird, dass ein Produkt auf Geheiß von und für ein Unternehmen hergestellt wurde. Denn letztlich reicht nach Auffassung des EuGH die bloße Anbringung einer Marke. Im Übrigen ist das auch das Ergebnis einer konsequenten Fortführung des „Marketingarguments“. Denn durch das beschriebene Vorgehen wird – im Ergebnis sogar noch deutlicher als bei bloß unkommentierter Anbringung der Marke – gegenüber Verbrauchern die Bekanntheit und Reputation eines Unternehmens genutzt.

Bereits hier zeigt sich die Tragweite der vom EuGH kreierten, exzessiven Begriffsdefinition des Quasi-Herstellers. Nach der im Ergebnis zutreffenden bisherigen h.M. zur deutschen Umsetzung der Herstellerdefinition (§ 4 ProdHaftG) liegt in beiden geschilderten Konstellationen keine Quasi-Herstellereigenschaft vor, jedenfalls wenn der tatsächliche Hersteller klar ausgewiesen ist. Der EuGH setzt demgegenüber nunmehr den Markeninhaber letztlich ausnahmslos einer potentiellen Haftung nach der Produkthaftungsrichtlinie aus, sobald seine Marke mit seiner Billigung in irgendeiner Form auf einem Produkt erscheint, sei auch noch so deutlich klargestellt, dass die Herstellerverantwortung bei einem Dritten liegt. Wie bereits dargelegt verkennt der EuGH in dieser Hinsicht das im Wortlaut der Vorschrift angelegte voluntative Element.

Er überdehnt im Übrigen den Schutzzweck und die Intention der Richtlinie, soweit er auf deren Erwägungsgründe 4 und 5 Bezug nimmt. Im Hinblick auf den Quasi-Hersteller ist dort letztlich nur der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Alt. 2 der Produkthaftungsrichtlinie wiedergegeben. Gerade nicht plausibel abzuleiten ist die vorgebliche Intention einer extensiven Ausgestaltung des Herstellerbegriffs, jedenfalls nicht in dem vom EuGH vorgenommenen Ausmaß. Nichts anderes gilt übrigens im Hinblick auf die Erwägungen in der Begründung des ursprünglichen Richtlinienvorschlags. Ferner ist auch das vom EuGH unterstellte akute Schutzbedürfnis von Verbrauchern nicht plausibel. Der diesbezügliche Verweis, die ausufernde Haftung sei erforderlich, um den Verbraucher von der Last zu befreien, den Hersteller zu ermitteln, damit Schadenersatzansprüche befriedigt werden können, verfängt nicht. Denn durch eine hinreichend deutliche Ausweisung des originären Herstellers besteht für den Verbraucher keine Unklarheit. Das gilt auch dann, wenn der Zusatz „hergestellt für“ verwendet wird. Auch dann ist klar, dass das dann folgende Unternehmen/die Marke nicht im Herstellerkontext steht. Die Formulierung lautet ja gerade nicht „hergestellt von“. Leider spricht der EuGH den Verbrauchern in diesem Kontext völlig zu Unrecht hinreichende kognitive und intellektuelle Fähigkeiten ab.

2. Markenlizenzierung

Noch deutlicher wird die Verfehltheit der EuGH-Dogmatik im Hinblick auf die klassische Markenlizenzierung. Werden Markenrechte vertraglich zur Nutzung durch Dritte beim Vertrieb von deren Produkten überlassen, würde der Lizenzgeber nach der Rechtsauffassung des EuGH ebenfalls zum Quasi-Hersteller. Denn die Vorlagefrage wird ausdrücklich so beantwortet, dass es ausreichend sein soll, wenn die Anbringung der maßgeblichen Kennzeichnung durch den Berechtigten jedenfalls „zugelassen“ wurde. Das ist bei einer Lizenzierung der Fall.

3. Risiken bei produktrechtlicher Marktakteurs-Kennzeichnung

Nach Maßgabe regulatorischen Produkt(sicherheits)rechts sind – je nach Art der Produkte und Inhalt der sektoralen Vorschriften – Produkte mit Details über bestimmte Wirtschaftsakteure zu kennzeichnen. Mitunter sind hierbei Mehrfachkennzeichnungen nötig, so etwa bei Waren aus Drittstaaten, bei denen neben dem Hersteller der Einführer bzw. im Anwendungsbereich des Art. 4 der EU-Marktüberwachungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/1020) der Bevollmächtigte oder Fulfilment-Dienstleister anzugeben sind. Nicht selten sind dabei die Rollen der auf dem Produkt genannten Akteure nicht hinreichend klar dargestellt, also etwa wer Hersteller und wer Bevollmächtigter/Fulfilment-Dienstleister ist. Im Lichte der neuen EuGH-Entscheidung tragen auf dem Produkt benannte Marktakteure, die nicht Hersteller sind bzw. sein wollen, dies aber nicht hinreichend klarmachen, das Risiko einer Quasi-Herstellereigenschaft. Im Hinblick auf Einführer ist das angesichts der bestehenden Gleichstellung mit dem tatsächlichen Hersteller und Quasi-Hersteller gemäß Art. 3 Abs. 2 Produktsicherheitsrichtlinie begrenzt virulent.

4. Erschwernis trennscharfer Haftungsallokation in Konzernsituationen

Die EuGH-Maßgaben erschweren die Haftungsallokation in Konzernverhältnissen. Hierbei werden oft Markenrechte zentral von übergeordneten Gesellschaften oder der Konzernmutter gehalten, während – gegebenenfalls bereichs- oder produktspezifisch – die Herstellereigenschaft und damit Haftung bei anderen Konzerngesellschaften angesiedelt wird. Hier ist nunmehr die jeweilige Markeninhaberin in der Haftung als Quasi-Hersteller.

Bewertung

Die Tragweite der EuGH-Entscheidung ist weitreichend. Bei der Verwendung und Lizenzierung von Marken dürfte eine Herstellerhaftung nach der Produkthaftungsrichtlinie durch bisher übliche Gestaltungen kaum mehr vermeidbar sein. Dies ist für die betroffenen Wirtschaftsbeteiligten nicht nur in der Sache misslich, sondern führt auch zu einer deutlichen Diskrepanz zwischen produktrechtlicher und produkthaftungsrechtlicher Lage. So ist etwa im Non-Food-Bereich über entsprechende vertragliche Gestaltungen und die Produktgestaltung trotz Verwendung einer Drittmarke eine klare und ausschließliche Zuweisung der Herstellereigenschaft an den tatsächlichen Hersteller möglich. Der betroffenen Praxis ist daher dringend anzuraten, die Risiken der Außenhaftung im Innenverhältnis zu den originären Herstellern durch sachgerechte vertragliche Regelungen abzubilden. Angesichts der Schwächen der Entscheidung besteht zwar gewisse Hoffnung, dass die Instanzgerichte außerhalb des unmittelbar entschiedenen Sachverhaltes einer restriktiveren Auslegung das Wort reden. Angesichts der klaren Positionierung des EuGH ist dies aber eher unwahrscheinlich. Deshalb ist auch hier eine präventive vertragliche Ausgestaltung empfehlenswert.