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EU-Verbandsklage:
Produktrecht umfassend einbezogen

Am 25.11.20 wurde die Verbandsklagen-Richtlinie (EU) 2020/1828 („VK-Richtlinie“) verabschiedet. Innerhalb von zwei Jahren muss sie von den Mitgliedsstaaten umgesetzt und bis spätestens Mitte 2023 angewendet werden. Der sachliche Anwendungsbereich der Verbandsklage erfasst zahlreiche europarechtlich begründete Vorschriften des Produktrechts und der Produkthaftung. Ziel der Richtlinie ist, dass Verbraucherinteressen effektiver durchgesetzt werden können. Indirekt soll hierdurch auch die Einhaltung der in der Richtlinie genannten unionsrechtlichen Regelungen durch Unternehmen gestärkt werden. Eine Klage kann auf Unterlassung einer unerlaubten Geschäftspraktik oder auf Abhilfe gerichtet sein.

Klagebefugt sind nur von Mitgliedsstaaten benannte qualifizierte Einrichtungen, die Verbraucherinteressen vertreten. Gerügt werden kann mit der Verbandsklage nur die (drohende) Beeinträchtigung von Kollektivinteressen der Verbraucher durch die Verletzung einer der in Anhang I der Richtlinie aufgezählten verbraucherrechtlichen Vorschriften. Anhang I nennt u. a. die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG und die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG. Ferner sind erfasst: die Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, die Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU, die Lebensmittelbasisverordnung (EG) Nr. 178/2002, die Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG, die Energieeffizienz-Richtlinie 2012/27/EU und die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (EU) 2017/1369.

Den Begriff der Kollektivinteressen der Verbraucher definiert die VK-Richtlinie in Art. 3 Nr. 3 sehr unkonturiert als „das allgemeine Interesse der Verbraucher und, insbesondere im Hinblick auf Abhilfeentscheidungen, die Interessen einer Gruppe von Verbrauchern“. Da Sicherheit, Energieeffizienz und Produkthaftung stets Verbraucherinteressen dienen, dürfte der Anwendungsbereich der VK-Richtline innerhalb der oben genannten Vorschriften sehr weit sein. Eine Verbandsklage auf Abhilfe könnte bei Vertrieb nicht-konformer Produkte u. a. unmittelbar auf Zahlung von Schadensersatz (nicht aber Strafschadensersatz), Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Kaufpreises gerichtet sein.

Für Hersteller, Importeure und Händler dürfte die neue Kollektivklage bei Product Compliance-Verstößen und Produkthaftungsfällen qualitativ völlig neue Haftungsrisiken mit sich bringen. Dies gilt nicht nur wegen des weiten Anwendungsbereichs und des Wegfalls der individuellen Durchsetzung von Ansprüchen in einem Anschlussprozess (anders als bei der Musterfeststellungsklage nach deutschem Recht). Zu befürchten steht auch ein „forum shopping“ der Verbandskläger, d. h. die strategische Wahl eines „vorteilhaften“ Gerichtsstands. Denn die Mitgliedstaaten haben erhebliche Freiräume bei der gesetzlichen Ausgestaltung der VK-Richtlinie.