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Zeitenwende im EU-Recht für Gentechnik in der Landwirtschaft – Haftungslage in Deutschland dringend anpassungsbedürftig
Nachdem wegen der strengen regulatorischen Rahmenbedingungen die grüne Gentechnik in der EU knapp 15 Jahre praktisch tot war, deutet sich nun ein grundlegender Dogmenwandel auf EU-Ebene an. Genau betrachtet kommt der von der EU-Kommission jüngst vorgestellte Vorschlag einer NGT-Verordnung (Regulation on plants obtained by certain new genomic techniques and their food and feed, and amending Regulation (EU) 2017/625, COM(2023) 411 final) einer Revolution gleich. Deren wirtschaftlich und sozial-ökonomisches Veränderungspotenzial für die Landwirtschaft sowie die Ernährungssicherheit und -versorgung in Zeiten des globalen Klimawandels sind immens. Gleichzeitig besitzt die Thematik aber nach wie vor erhebliche gesellschaftliche und politische Sprengkraft. Kaum eine Diskussion um die regulatorischen Rahmenbedingungen für eine neue Technologie wurde so emotional und konfrontativ geführt wie die zur grünen Gentechnik. Der Ausgang dieses Diskurses, der vor knapp 20 Jahren begann, ist bekannt: Aufgrund strenger regulatorischer Zulassungsbedingungen bzw. eines letztendlichen Moratoriums und ausufernder Haftung findet aktuell kein signifikanter Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa statt – ganz anders als im Rest der Welt, wo in einzelnen Bereichen gentechnisch veränderte Pflanzen schon lange den weit überwiegenden Teil der Anbauflächen ausmachen.
Was hat die EU mit dem Entwurf der NGT-Verordnung vor? In den letzten 20 Jahren hat sich in der Genforschung vieles grundlegend verändert, vor allem im Hinblick darauf, wie gentechnische Veränderungen herbeigeführt werden. Heute ist beispielsweise die sogenannte „CRISPR-Technologie“ verfügbar und stark entwickelt, sowie andere Verfahren, die Änderungen am Genom von Pflanzen weniger risikobehaftet umsetzen als frühere Verfahren. Der Oberbegriff hierfür lautet „NGT“ (New Genomic Techniques, Neue genomische Verfahren). Ziel der in der Praxis bereits erprobten und bewährten NGT-Verfahren sind insbesondere Verbesserungen bei der Klima- und Schädlingsresistenz, und zwar zielgerichteter, effizienter und schneller als mit klassischer Züchtung. Genau diese NGT-Verfahren sollen nunmehr spezifisch reguliert werden.
Nach dem am 5. Juli 2023 vorgelegten Entwurf soll es zwei Kategorien von NGT-Pflanzen geben:
- NGT-Pflanzen, die auch in der Natur oder konventionell gezüchtet vorkommen könnten, müssen ein Prüfverfahren anhand der im Vorschlag festgelegten Kriterien durchlaufen. NGT-Pflanzen, die dieses Verfahren bestehen, werden wie konventionelle Pflanzen behandelt und sind daher von den Anforderungen der GVO-Rechtsvorschriften (insbesondere Richtlinie 2001/18/EG) ausgenommen. Das bedeutet, dass für diese Pflanzen keine Risikobewertung durchgeführt werden muss und sie ebenso gekennzeichnet und in Verkehr gebracht werden können wie konventionelle Pflanzen.
- Für alle anderen NGT-Pflanzen gelten weiterhin die bestehenden GVO-Rechtsvorschriften. Das bedeutet, dass sie insbesondere vor Inverkehrbringen zugelassen werden müssen. Für diese Pflanzen sollen diverse Nachweismethoden und Kontrollmechanismen gelten.
Alle NGT-Pflanzen sollen in einer öffentlichen Datenbank erfasst werden. Ferner soll ihr Saatgut und anderes Pflanzenvermehrungsmaterial entsprechend gekennzeichnet werden, um Transparenz und Wahlmöglichkeiten zu gewährleisten. Ähnlich wie im Hinblick auf GVO sollen die Mitgliedstaaten verpflichtend Koexistenz-Maßnahmen auf nationaler Ebene etablieren. Konkret müssen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, damit verschiedene Anbauarten nebeneinander bestehen können, z. B. durch Festlegung von Abstandsflächen zwischen den Feldern.
NICHT Gegenstand des Verordnungs-Vorschlags ist die Haftung für den Anbau von NGT-Pflanzen. Diese obliegt wie im Hinblick auf GVO den Mitgliedstaaten und unterliegt den dort bestehenden Haftungsbestimmungen. In Deutschland hat die damalige rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2005 mit § 36a GenTG ein extrem umstrittenes, äußerst strenges Haftungsregime geschaffen, das an die nachbarrechtlichen Abwehr- und Ausgleichsansprüche des § 906 BGB anknüpft und heute noch Gültigkeit besitzt. § 36a GenTG führt im Ergebnis dazu, dass ausufernde Haftungsrisiken für Verwender gentechnisch veränderter Pflanzen drohen, die – als der Anbau noch grundsätzlich möglich war – praktisch dazu führten, dass in Deutschland außer zu Versuchszwecken nie ein konventioneller Anbau in nennenswertem Umfang stattfand. Der Verfasser hat seinerzeit den Gesetzgebungsvorgang begleitet und die Haftungslage umfassend analysiert, mit der Feststellung einer „erstickenden Wirkung“ und dem Postulat nach grundlegenden Anpassungen und Entschärfungen (siehe Hartmannsberger, Gentechnik in der Landwirtschaft: Die Entwicklung der Haftung für den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen, zugl. Diss. 2007, S. 266 ff.).
Wird der Entwurf der NGT-Verordnung auch nur ansatzweise mit dem geplanten Inhalt verabschiedet, ist der Gesetzgeber zwingend gefordert, die Haftungslage grundlegend zu novellieren. Denn sonst ist zweifelsohne davon auszugehen, dass die Gentechnik in der Landwirtschaft trotz liberalisierter regulatorischer Rahmenbedingungen weiterhin in Deutschland keine praktische Anwendung finden wird.