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Vorschlag einer „Reparaturrichtlinie“ der Kommission
1. Hintergrund
Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind große Themen dieser Zeit. Ihrer Förderung hat sich die EU-Kommission im Rahmen des Green Deal verschrieben und hierzu bereits zahlreiche Rechtsakte auf den Weg gebracht. Siehe beispielsweise die aktuellen Entwürfe und Überlegungen zum Ökodesign, die bis hin zu einem Verbot des Einbaus bestimmter Heizungstypen reichen. Die Kommission hat aber auch der sogenannten „Wegwerfgesellschaft“ den Kampf angesagt. Verbraucher sollen motiviert werden, Geräte häufiger reparieren statt ersetzen zu lassen, und zwar indem deren bereits EU-rechtlich bzw. auf nationaler Ebene bestehenden Rechte zur Reparatur erheblich erweitert werden. In diesem Sinne hat die Kommission im März 2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinien (EU) 2019/771 und (EU) 2020/1828 vorgelegt („Reparaturrichtlinie“) (COM (2023) 155 final), der laut einschlägiger Pressemitteilung die Reparatur als „entscheidenden Faktor“ im Kampf gegen „das Modell der Wegwerfgesellschaft“ sieht. Er soll „die Reparatur zu einer einfachen und attraktiven Option für die Verbraucherinnen und Verbraucher“ machen.
International betrachtet ist dies kein gänzlich neuer Ansatz. Initiativen zur Stärkung von Reparaturrechten wurden beispielsweise schon in mehreren US-Bundesstaaten vorangetrieben und entsprechende Rechtsakte erlassen. So beispielsweise Ende 2022 der „Digital Fair Repair Act“ des Bundesstaates New York, der insbesondere darauf abzielt, dass Hersteller unabhängigen Reparaturdienstleistern und Eigentümern von elektronischen Geräten, die vom Hersteller oder in seinem Namen oder Auftrag hergestellt oder verkauft werden, zu „fairen und angemessenen Bedingungen“ Dokumentation, Teile und Werkzeuge bereitstellen.
2. Überblick: Gravierende Änderungen zulasten von Herstellern geplant
Die Reichweite des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission sticht im internationalen Vergleich hervor. Würde der Entwurf so wie aktuell vorgeschlagen umgesetzt, würde dies gravierende Änderungen der bisherigen Rechtslage und erhebliche Verpflichtungen für Hersteller bedeuten. Gegenstand des Richtlinienvorschlags sind insbesondere Haushalts-Waschmaschinen, -Wäschetrockner und -Geschirrspüler, aber auch Fernsehgeräte und elektronische Bildschirme, Schweißgeräte, Staubsauger, Server und Datenspeicherprodukte sowie Mobiltelefone und Tablets.
Im Hinblick auf diese Geräte sollen die bisherigen Reparaturrechte von Verbrauchern ganz erheblich über die gesetzliche Gewährleistung hinaus ausgedehnt werden, wobei auch im Bereich der gesetzlichen Gewährleistung Änderungen der noch jungen Warenkaufrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/771) vorgesehen sind.
3. Änderungen im Bereich der gesetzlichen Gewährleistung
Im Bereich der gesetzlichen Gewährleistung soll die Warenkaufrichtlinie gemäß Art. 12 der Reparaturrichtlinie geändert werden. Nunmehr soll der Verkäufer zur Nachbesserung (Reparatur) verpflichtet sein, „wenn die Kosten für die Ersatzlieferung mindestens den Nachbesserungskosten entsprechen“. Gemäß der Formulierung soll die Reparatur in diesem Fall zwingend Vorrang vor einer Ersatzlieferung haben, was das bisher vorgesehene freie Verbraucherwahlrecht zwischen Ersatzlieferung und Reparatur beschneiden würde. Dies ist in der Tat die klare Regelungsabsicht, denn auf S. 15 des Vorschlags und am Ende von Erwägungsgrund 28 des Vorschlags wird festgehalten, dass der Verbraucher Ersatz nur dann als Abhilfemaßnahme für Mängel wählen könne, wenn der Ersatz billiger sei als eine Reparatur.
Ob dies politisch durchsetzbar ist, ist fraglich und bleibt abzuwarten. Davon abgesehen bestehen bezüglich der aktuellen Fassung auch regelungstechnisch klare Bedenken. So bleibt insbesondere unklar, in welchem Zeitpunkt, aus wessen Perspektive (Verkäufer/Verbraucher/objektiv) und nach welchen Maßstäben (konkret eingeholte Angebote, die kostenmäßig höchstwahrscheinlich variieren, oder etwa Durchschnittspreise, die man praktisch kaum wird ermitteln können) die zu vergleichenden Kosten ermittelt werden sollen. Hier besteht in erheblichem Umfang Präzisierungsbedarf.
4. Neues Recht auf Reparatur außerhalb der Gewährleistung
Der eigentliche Kern des Vorschlags (Art. 5 Abs. 1) geht über die soeben beschriebene Modifikation des Gewährleistungsrechts deutlich hinaus. Danach wird der Hersteller verpflichtet, „auf Verlangen“ eines Verbrauchers die Ware zu reparieren.
„Hersteller“ ist dabei nach dem Richtlinienvorschlag jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und dieses unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet. Hat der Hersteller seinen Sitz außerhalb der EU, so erfüllt ggf. sein „Bevollmächtigter“ die Reparaturpflicht. Gibt es keinen solchen Bevollmächtigten innerhalb der EU, so erfüllt der Importeur der betreffenden Ware die Verpflichtung des Herstellers und wenn es auch diesen nicht gibt, trifft den Händler die entsprechende Pflicht. Die deutsche Fassung des Richtlinienvorschlags ist insoweit in Art. 5 Abs. 2 S. 3 nicht akkurat, wie ein Vergleich mit der englischen Fassung des Vorschlags und den in der Reparaturrichtlinie in Bezug genommenen Definitionen des Vorschlags für eine Ökodesign-Verordnung der Kommission zeige. Der in Art. 5 Abs. 2 S. 3 referenzierte „Verteiler“ ist also der „Händler“, womit im Ergebnis Fulfilment-Dienstleister nicht in die Verantwortung genommen werden.
Die Reparaturpflicht soll dabei unabhängig davon gelten, ob zwischen dem Verpflichteten und dem Verbraucher ein Vertrag besteht. Damit wird der für das deutsche Privatrecht prägende Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse (Rechte und Pflichten werden nur zwischen den beteiligten Parteien begründet) beiseitegeschoben.
Handwerklich ist die Regelung nicht gelungen (vgl. auch schon oben hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Verteiler“ in der deutschen Fassung).
Beispielsweise wird darin nicht bestimmt, dass das jeweilige Produkt überhaupt defekt sein muss und unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist; insoweit wäre es sinnvoll, auf substanzielle Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen und damit bloße Schönheitsfehler oder Komforteinbußen auszuschließen.
Die aktuelle Fassung der Regelung sieht zudem nicht vor, wie lange das Reparatur-Verlangen geltend gemacht werden kann. Hierzu wird zwar in der Begründung auf S. 13 (Fußnote 9) des Vorschlags zu Art. 4 auf verschiedene EU-Verordnungen verwiesen, die spezifische Vorgaben bzgl. des Ökodesigns bestimmter Waren und darunter Anforderungen an die Reparierbarkeit enthalten, z.B. die Verordnung (EU) 2019/2023 der Kommission. In dieser wird vorgeschrieben, dass „fachlich kompetenten Reparaturbetrieben“ für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren nach dem Inverkehrbringen des letzten Exemplars eines Modells die in einer Liste angegebenen Ersatzteile zur Verfügung gestellt werden müssen. Daraus wird in der Begründung des Vorschlags der Reparaturrichtlinie abgeleitet, die Verpflichtung zur Reparatur gelte für „den Zeitraum von zehn Jahren“. Dies ist in mehrfacher Hinsicht präzisierungsbedürftig. Zunächst einmal wird gemäß dem Wortlaut der relevanten Regelung in der Verordnung (EU) 2019/2023 nicht die Dauer des Zeitraums, innerhalb dessen Reparaturen durchzuführen sind, sondern die Dauer der Bereitstellung von Ersatzteilen geregelt. Zudem wird dort nicht schlicht ein Zeitraum von zehn Jahren genannt, sondern wie oben angeführt ein Zeitraum von zehn Jahren ab dem Inverkehrbringen des letzten Exemplars eines Modells der jeweiligen Ware.
Im Ergebnis sollte Art. 5 Abs. 1 nachgeschärft werden und insbesondere der Maßstab für die Ermittlung der Mangelhaftigkeit sowie der Zeitraum, innerhalb dessen ein Verlangen hinsichtlich der jeweiligen Waren geltend gemacht werden kann, in der Richtlinie selbst klar und eindeutig definiert werden. Die Einräumung eines Reparaturrechts für einen Zeitraum von zehn Jahren ab Inverkehrbringen des letzten Exemplars eines Modells ist allerdings aus Herstellersicht unverhältnismäßig. Stattdessen käme beispielsweise eine Begrenzung auf die übliche Lebensdauer der jeweiligen Ware in Betracht, die schon aus Gründen der Regelungsklarheit in der Richtlinie selbst angegeben werden sollte (z.B. fünf Jahre ab Lieferung). Bei dieser Gelegenheit sollte klargestellt werden, dass – so ist jedenfalls anzunehmen – das Reparatur-Verlangen gegenüber dem Hersteller geltend gemacht werden muss (denkbar wäre etwa auch, dass es ausreicht, es gegenüber dem Verkäufer geltend zu machen, der dies wiederum an den Hersteller weiterleiten muss). Auch dies ist nicht unmissverständlich geregelt. Der Wortlaut der Vorschrift lässt in der deutschen Fassung im Übrigen sogar die Deutung zu, irgendein Verbraucher könne wirksam die Reparatur für einen anderen verlangen („auf Verlangen eines Verbrauchers“; in der englischen, niederländischen und französischen Fassung auch nicht zweifelsfrei, wenngleich besser formuliert (iSv: „des“ Verbrauchers)). Es besteht also in vielerlei Hinsicht Nachbesserungsbedarf. Bliebe der Vorschlag unverändert, wäre zu befürchten, dass infolge der verschiedenen Unklarheiten keine einheitliche Umsetzung durch die Mitgliedstaaten erfolgt.
5. Erheblicher finanzieller und organisatorischer Mehraufwand
Der vorgesehene Eingriff in die Rechtsposition des Herstellers wird zwar nach dem Vorschlag in begrenztem Umfang abgemildert. So muss die Reparatur nicht unentgeltlich sein, sondern kann auch „gegen einen bestimmten Preis oder eine andere Art von Gegenleistung“ erfolgen. Zudem besteht die Pflicht konsequenterweise dann nicht, wenn eine Reparatur faktisch oder rechtlich unmöglich ist (hier sollte entsprechend Erwägungsgrund 19 klargestellt werden, dass sowohl die faktische als auch die rechtliche Unmöglichkeit umfasst ist). Der Hersteller kann zudem Reparaturen untervergeben, muss sie also nicht selbst durchführen.
Im Ergebnis bleibt der Einschnitt jedoch erheblich. Für Hersteller würde die Regelung letztlich bedeuten, dass sie unabhängig von der gesetzlichen Gewährleistung und damit insbesondere nach Ablauf der Gewährleistungsfrist für die Funktionsfähigkeit der von ihnen hergestellten Geräte verantwortlich bleiben. Selbst wenn sie Reparaturen nicht selbst durchführen, sondern untervergeben, liegt auf der Hand, dass das Vorhalten der dafür erforderlichen Strukturen erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand und Kosten generieren wird. Dies umso mehr, als sie gemäß dem Vorschlag sicherstellen müssen, dass unabhängige Reparaturbetriebe Zugang zu Ersatzteilen und reparaturbezogenen Informationen und Werkzeugen erhalten (Art. 5 Abs. 3). Danach müssten die Hersteller diese befähigen, vergleichbare Leistungen anzubieten, und ihnen Informationen hierzu zur Verfügung stellen. Der aktuell vorgesehene Wortlaut der Regelung legt zwar nahe, dass Reparaturbetrieben hier keine Informationen über die bisher gemäß den jeweiligen einzelnen Verordnungen (wie etwa Verordnung (EU) 2019/2023) bereitzustellenden Informationen hinaus zu erteilen sind. Allerdings würde der Kreis der Reparaturbetriebe nun weitergezogen, da danach jedem unabhängigen Reparaturbetrieb entsprechende Informationen bereitgestellt werden müssten (demgegenüber können etwa gemäß Verordnung (EU) 2019/2023 bestimmte u.a. kompetenzbezogene Nachweise von den Reparaturbetrieben verlangt werden). Hersteller würden im Ergebnis gezwungen, ggf. auch sensible Informationen bzgl. der Waren an potenziell nicht seriöse Betriebe weiterzugeben.
6. Weitere flankierende Regelungen
Sind die Hersteller zur Reparatur von Waren verpflichtet, müssen sie die Verbraucher über diese Verpflichtung informieren und Informationen über die Reparaturdienste bereitstellen (Art. 6). Hierzu sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass für ihr jeweiliges Hoheitsgebiet mindestens eine Online-Plattform besteht, die es Verbrauchern ermöglicht, Reparaturbetriebe zu finden (z.B. durch eine Suchfunktionen in Bezug auf Waren, den Standort der Reparaturdienstleistungen, die Reparaturbedingungen etc.).
Flankierend werden die Reparaturunternehmen verpflichtet, standardisierte Informationen über die Reparaturbedingungen und den Preis der Reparatur in einem „Europäischen Formular für Reparaturinformationen“ anzugeben (Art. 4), um den Verbrauchern den Vergleich von Reparaturleistungen zu ermöglichen. Ferner soll eine europäische Qualitätsnorm für Reparaturdienstleistungen entwickelt werden, die das Vertrauen der Verbraucher in Reparaturdienstleistungen stärken soll (Erwägungsgrund 27).
7. Zusammenfassung
Die gesetzliche Regulierung des b2c-Verhältnisses schreitet fort und macht auch vor dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse keinen Halt. Für Hersteller bedeutet das, dass sie mit erheblichem Mehraufwand in finanzieller und organisatorischer Hinsicht rechnen müssen. Aktuell allerdings ist insbesondere wegen handwerklicher Mängel des Richtlinienvorschlags davon auszugehen, dass im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses noch inhaltliche Anpassungen erfolgen werden. Der Vorschlag der Reparaturrichtlinie ist also zunächst einmal selbst reparaturbedürftig.