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Product Compliance und Produkthaftung in Einkaufsverträgen

Die rechtliche Abbildung von Erfordernissen der Product Compliance und Produkthaftung in Beschaffungsverträgen von Herstellern und Quasi-Herstellern ist häufig defizitär. Obgleich oft vielfältiger und vielschichtiger Regelungsbedarf besteht, finden sich in Einkaufsverträgen, Allgemeinen Einkaufsbedingungen, Qualitätssicherungsvereinbarungen (QSVn) etc. häufig keine spezifischen Klauseln oder lediglich rudimentäre oder generische Regelungen, die dem nicht gerecht werden. Dies trotz klarer Vorteile: Eine hinreichende Regelungsbreite und -tiefe verbessert complianceseitig die Situation für den Hersteller und sorgt gegenüber den Lieferanten für Transparenz und Klarheit im Hinblick auf die produkt- und produktionsbezogenen Pflichten. Die Herausforderung für die Kautelarpraxis besteht dabei darin, das Spannungsverhältnis zwischen bestmöglicher Wahrung der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen des Herstellers und den AGB-rechtlichen Grenzen sachgerecht aufzulösen.

Als Faustregel kann gelten, dass der Regelungsbedarf graduell steigt, je weitreichender Herstellungsprozesse und -verantwortlichkeiten (in Bezug auf das Endprodukt) auf Lieferanten übertragen werden. Besonders virulent ist das Bedürfnis nach umfassenden Vertragsinhalten in Quasi-Hersteller-Konstellationen, also beim Bezug von Fertig-, White Label- und OEM-Produkten. Sachgerechte Gestaltungen sind letztlich an der rechtlichen Herstellerverantwortlichkeit in Bezug auf das (End-)Produkt auszurichten. Der Hersteller muss spätestens zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (ggf. auch schon beim Import oder Angebot im Internet) die Einhaltung der maßgeblichen regulatorischen und haftungsrechtlichen Vorgaben sowie der entsprechenden Dokumentations- und Nachweispflichten sichergestellt haben. Im nachfolgenden Überblick werden wesentliche regelungsbedürftige Bereiche dargestellt.

1. Vertragliches Grundkonzept

Je nach der individuellen Zielsetzung und weiteren Einzelfallumständen ist das vertragliche Grundkonzept auszugestalten. So kann sich etwa eine rahmenvertragliche Struktur anbieten. Dabei werden die Regelungen bezüglich Product Compliance und Produkthaftung in einem Rahmenvertrag abgebildet und die Bestellungen bzw. Abrufe von Produkten erfolgen innerhalb der Vorgaben des Rahmenvertrags. Sehr ähnlich, wenn auch typischerweise weniger spezifisch als der vorgenannte Ansatz, ist ein Konzept, in dem Allgemeine Einkaufsbedingungen (ggf. in Verbindung mit einer QSV) Vorgaben zu Product Compliance und Produkthaftung enthalten und die Bestellungen bzw. Abrufe unter Bezug hierauf erfolgen. Alternativ sind auch Kombinationen von standardisierten Anforderungen mit spezifischeren Vorgaben für bestimmte Produkte denkbar, bis hin zu Individualvereinbarungen zu einzelnen Aspekten. Es lässt sich letztlich nur einzelfallbezogen entscheiden, welcher Gestaltungsansatz gewählt werden sollte. Dabei liegt eine wesentliche Herausforderung in der Sicherstellung der Stringenz der Regelungen und einer sachgerechten Geltungshierarchie der unterschiedlichen Verträge, um Regelungs- und Zielkonflikte zu vermeiden bzw. zu lösen.

2. Produkt- und Produktionsvorgaben

Der überwiegende Teil rechtlicher Vorgaben des Produktrechts knüpft an die unmittelbaren Eigenschaften eines Produkts oder dessen Bestandteilen an (z.B. Herkunft, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Funktionalitäten, Energieverbrauchs- und Entsorgungsaspekte, allgemeine und spezifische Sicherheit). Ebenso hat der fehlerfreie Produktionsprozess Bedeutung – auch produkthaftungsrechtlich. Die Weitergabe entsprechender Maßgaben an Lieferanten kann mehr oder weniger detailliert und spezifiziert erfolgen. Ein eher generischer Ansatz ist hierbei weniger aufwendig und regelungstechnisch einfacher, bringt aber weniger Transparenz und Klarheit über die konkreten Compliance-Pflichten. Der gegenteilige Angang wiederum, dezidierte Maßgaben zu treffen, etwa in Form von Spezifikationen, birgt die Herausforderung höheren Aufwands und deutlich stärkerer Verantwortung des Herstellers bei deren Erstellung und insbesondere laufenden Aktualisierung.

3. Dokumentations- und Nachweispflichten

Regelmäßig sollte der Lieferant zur Vorhaltung und Übermittlung von Nachweisen über die Einhaltung der gemäß 2. definierten Vorgaben verpflichtet werden. Dies nicht nur vor dem Hintergrund entsprechender regulatorischer Verpflichtungen des Herstellers, sondern auch unter Haftungsgesichtspunkten. Insoweit ist etwa an technische Unterlagen, Prüfberichte, Zertifikate und Belege zum Konformitätsbewertungsverfahren zu denken. Außerdem ist die Einhaltung gesetzlicher Fristen zur Aufbewahrung von Unterlagen sicherzustellen.

4. Kontrollmechanismen

Die Einhaltung der Product Compliance-Pflichten sollte regelmäßig auch durch konkrete Prüfungen der Produkte, Unterlagen und Prozesse vor Lieferung/Wareneingang sichergestellt werden. Gängig sind etwa Prüfungen von Erstmustern oder Samples aus der laufenden Produktion oder Vor-Verschiffungsprüfungen.

5. Produktkennzeichnung, Begleitmaterialien

Gegebenenfalls sind (einzelne) Aspekte der Produktkennzeichnung, Verpackung und Verpackungskennzeichnung sowie im Hinblick auf Begleitunterlagen im Pflichtenkreis des Lieferanten zu verorten. Dies kann beispielsweise für isoliert kennzeichnungspflichtige Bauteile wichtig sein (siehe unten 13.).

6. Produktänderungen

Ein häufiger Quell für Nicht-Konformitäten oder Sicherheitsrisiken sind unabgestimmte Produktänderungen durch Lieferanten. Insoweit sollten vertragliche Vorkehrungen und Maßgaben getroffen werden. Das betrifft im Übrigen auch Produktänderungen auf Seiten des Herstellers.

7. Einbeziehung von Dritten

Jedenfalls vorsorglich sollten Regelungen im Hinblick auf die Einbeziehung von Dritten (z.B. Sublieferanten) durch den Lieferanten aufgenommen werden, etwa die Weitergabe von Pflichten.

8. Obligatorische QS-Systeme

Bereits nach allgemeinen Qualitätssicherungsaspekten sind regelmäßig obligatorische QS-Systeme sinnvoll. Hierin können dann spezifische produktrechtliche und produkthaftungsrechtliche Erfordernisse mit abgebildet werden.

9. Freiwillige Zertifizierungen und Standards

Soweit freiwillige Zertifizierungen und Standards vom Lieferanten erwartet werden (z.B. GS-Zeichen, Sozialstandards) sollte dies ausdrücklich und unter Berücksichtigung der hieraus resultierenden Vorgaben für Lieferant und Hersteller geregelt werden.

10. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Falls das Risiko besteht, dass das am 1.1.2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf den Hersteller anwendbar sein wird, empfiehlt es sich, entsprechende Vorkehrungen in den Einkaufsverträgen zu treffen.

11. Versicherungsschutz

Auch die Verpflichtung zur Vorhaltung maßgeblichen Versicherungsschutzes (Produkthaftung, Rückruf) ist empfehlenswert.

12. Verantwortlichkeiten/Regress bei Nicht-Konformität oder Produkthaftungsfällen

In dieser Hinsicht besteht eigentlich immer Regelungsbedarf, wobei die Gestaltungsmöglichkeiten durchaus variabel sind. Typische „Standardklauseln“ in der Praxis sind allerdings oft nicht sachgerecht oder lückenhaft oder leiden unter AGB-rechtlichen Mängeln. Nachfolgend einige potentielle Regelungsgegenstände:

  • Festschreibung von Informations-, Mitteilungs- und Beteiligungspflichten für den Lieferanten im Falle von (potentiellen) Nicht-Konformitäten oder durch den Lieferanten beabsichtigte Maßnahmen.
  • Festlegung der Voraussetzungen, der Inhalte und des Umfangs von Korrekturmaßnahmen durch den Hersteller sowie von Verhaltens- und Mitwirkungspflichten des Lieferanten in solchen Fällen.
  • Gestaltungen zur Vorsorge gegen Ketten-Rückrufe.
  • Regelungen zur Haftung und Verantwortlichkeit des Lieferanten

13. Ersatzteile

Ein häufig unterschätztes Thema sind Ersatzteile. Regelungsbedürftig ist etwa der maßgebliche Konformitätsstand von Produkten bei fortlaufender Ersatzteillieferung und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben im Falle des isolierten Vertriebs im After Market.